Donnerstag, 12. April 2012

Anker lösen - oder doch eher werfen ?


Tja, so langsam heißt es Abschied nehmen. Kommenden Sonntag ist es soweit, dann sitze ich gegen 08:15 h wieder im Flieger in Richtung Heimat.

Vor einigen Minuten habe ich mein Feedback an African Impact abgegeben. Eine Frage von dem Bogen lautete „Was war dein Highlight während deiner Projekttätigkeit?“. Hmmm, das ist so eine komische Frage, die ich ähnlich gestellt des öfteren von Andi zu hören bekomme („Schatz, was hat dir am besten gefallen?“). Auch da weiß ich nie, was ich darauf antworten soll, weil ich mir angewöhnt habe bzw. mich darin übe, Dinge und Ereignisse gleichgültig zu betrachten. Ja, ja, ihr habt schon richtig gelesen, aber ich meine es wortwörtlich im Sinne von „gleich-gültig“. Ich mag diese Sichtweise, weil sie bedeutet, dass nichts ausdrücklich hervorgehoben werden muss, um als besonders wertvoll betrachtet zu werden. Wenn man einfach mal nur genau hinschaut, und ich meine wirklich nur hinschauen, ohne zu bewerten, erkennt man irgendwann wie besonders und einzigartig  jeder Umstand an sich schon ist ohne etwas dafür tun zu müssen. Man stellt fest, dass es nur im Auge des Betrachters liegt, wie er etwas empfindet und dass Selbstverantwortung eines der größten Geschenke ist. Also, warum soll ich mich des natürlichen Reichtums an wertvollen Augenblicken berauben, indem  ich anfange bestimmte Dinge auszuklammern, weil ich sie als schlecht bewerte oder nur die hervorhebe, die ich besonders toll finde?

Ich habe African Impact geantwortet, dass ich die ganze Reise, also nicht nur das Projekt,  als Highlight erlebe, weil jede hier gemachte Erfahrung ein weiterer Atemstoß in den Luftballon „persönlicher Horizont“ ist.

Im Grunde genommen gehe ich sogar so weit zu sagen, dass das ganze Leben , und damit meine ich nicht nur meins, ein Highlight, ein „hohes Licht“ ist. Ich bevorzuge es deshalb meine bzw. unsere  Afrikareise als ein weiteres selbstleuchtendes Lichtteilchen zu sehen, dass  ein allumfassendes  Licht erst vervollständigt.

Lasse ich allerdings die einzelnen Stationen des Kenyaaufenthalts noch mal revue passieren, wird mir sehr schnell klar, dass jede für sich ein weiteres  leuchtendes Element ist. Würde auch nur ein einziges fehlen, könnte die gesamte Reise nicht mehr die gleiche Leuchtkraft aufbringen, geschweige denn überhaupt Licht spenden.

Alles, was ich hier erlebt habe, Leid zu sehen und zu ertragen (der Besuch  in den Slums von Mombasa, der erste Tag in der Mukeu Schule...) oder  sowie Freude zu schenken und auch anzunehmen (die unglaublich offenen und freundlichen Menschen hier, die liebevollen Umarmungen der Kinder in der Mukeu Schule,...) hat dazu beigetragen, die Welt in einem anderen Licht zu sehen und vor allem zu erkennen, wie dicht alles beieinander liegt und nichts ohne das andere existieren kann.  Gäbe es den Überfluß nicht, gäbe es auch keine Armut. Gäbe es kein Leid, gäbe es auch die Freude nicht. Gäbe es die Dunkelheit nicht, gäbe es auch kein Licht.

Für mich war es vor allem interessant zu sehen, in wie weit ich bereit bin, die „Dunkelheit“ auszuhalten. Und je weiter ich mich auf die Schattenseite gewagt habe, desto mehr bin ich mit wärmenden Licht belohnt worden. Die weitverbreitete Angst vor der Dunkelheit scheint also mehr eine Illusion als fürchterliche Realität zu sein.

Hier in Kenia herrscht eine so andere Lebenseinstellung, die wirklich vieles in den Schatten stellt. Das Leben der Menschen, die wir kennengelernt haben ist geprägt von Lebensfreude, Rhythmus, Leidenschaft, Offenheit, Freiheit, Musik, Lachen und...Hakunamatata :-)! Armut ist hier tatsächlich an der Tagesordnung, aber wenige Besitztümer zu haben und wirklich hart für seinen Lebensunterhalt ackern zu müssen ,  bedeutet nicht gleich in Depressionen zu verfallen oder Opfer gesellschaftlicher Isolation zu werden. Im Gegenteil. Hier sitzen alle im gleichen Boot und das verbindet. Hier braucht keiner Angst davor zu haben, dass einer dem anderen etwas wegnimmt oder neidet. Ganz anders als bei uns, hier im fernen Westen, wo Besitz den Glauben hervorruft, sich vor anderen schützen zu müssen. Die Einschätzung der Wichtigkeit materieller Dinge scheint uns in einzelne, kleine Boote zu setzen, die sich gegenseitig anstoßen und dadurch in unterschiedliche Richtung gelenkt werden.

Anders betrachtet, leiden hier in Kenia viele Menschen an anderen Dingen, wie z.B. Hunger und  organischen Krankheiten, die u.a. auf Armut sowie mangelnde Hygiene und Aufklärung zurückzuführen sind. Für uns alltägliche Begriffe wie Burnout, Depression oder Angstzustände existieren auf Kiswahili, glaube ich, gar nicht und wenn, dann würden sie wahrscheinlich lauten „Hahaha“. Diese Krankheiten sind der Preis, den wir in unserer Leistungsgesellschaft bezahlen.

Das vorherrschende Ungleichgewicht ist mehr als offensichtlich, nur scheint keine Seite mehr vom Licht angestrahlt zu werden als die andere – zumindest  äußerlich betrachtet.  

Vielleicht muß man einfach auch nur mal die Perspektive wechseln, um klarer sehen zu können. Wäre es nicht möglich, dass unsere Welten eventuell „gleich-gültig“ sind?  Dass jede Welt und somit auch jeder Mensch, egal ob arm oder reich, ob aus Ost oder West, ob Weiß oder Schwarz, aus sich herausstrahlt und kein Licht – in welcher Form auch immer – benötigt, um aus dem Schatten heraus zu kommen? Sterne sind auch selbstleuchtende Körper, die wir in Abhängigkeit von äußeren Umständen (z.B. durch Wolken) manchmal sehen und manchmal wiederum nicht. Vielleicht kreieren wir unsere Wolken durch eine Verschiebung der Werte, durch eine Bewertung  dessen, was wichtig im Leben ist und was nicht, selber und nehmen uns so die Sicht auf die Sonne.  Aber wie dicht die Wolkendecke auch sein mag, die Sterne sind dennoch permanent da, unabhänging von den äußeren Umständen. Wir brauchen sie nicht zu sehen, um zu wissen, dass sie existieren. Allerdings ist es erfahrungsgemäß auch so, dass Dinge sprichwörtlich gerne aus dem Sinn verschwinden, wenn sie erst mal aus dem Augen sind.

Deshalb ist es wichtig, dass wir uns ständig daran erinnern, wenn wir glauben nur von Dunkelheit umgeben zu sein, dass es nichts braucht, um selbst leuchten zu können. Ich weiß aber auch, wie schwer es ist, den Lichtschalter zu finden, wenn man (meint) alleine im Dunkeln zu stehen.

Darum bin ich unglaublich froh, diese Reise gemeinsam mit Andi gemacht zu haben. In den Momenten, in denen wir mit wirklich elendigem Leid konfrontiert wurden, war er für mich eine Art Anker. Ab und zu haben die Erlebnisse es tatsächlich geschafft mich in ein einzelnes Boot zu setzen, aber durch den Anker bin ich am Platz geblieben und konnte nicht in diffuse Richtungen wegtreiben.

Und für die Menschen, die glauben keinen Anker zu haben, ist die Erinnerung daran vielleicht hilfreich, dass es auch noch einen Nordstern  gibt, der schon vielen verirrten Seefahrern wieder den Weg nach Hause gewiesen hat.

Unsere letzte Aktion in der Mukeu Schule bestand darin,  leuchtende Sterne an die Decke der Schlafräume der Kinder zu hängen. Da sie gestern schon von ihren Eltern abgeholt wurden, werden sie Sterne erst sehen, wenn sie nach den Ferien  wieder im Internat sind und glauben, weit weg von zu Hause zu sein.




Am Sonntag werde ich Kenia verlassen und wieder nach Hause zurückkehren – im Wissen, überall zu Hause sein zu können.

...

Eine Sache möchte ich allerdings noch los werden. Wie ihr Andis Bericht entnehmen konntet, habe ich am Ostersonntag an einem Karatetraining in Nairobi teilgenommen. An dieser Stelle möchte ich mich noch mal ganz herzlich bei Klaus M. und Marié Niino bedanken, durch die dieses Treffen erst möglich wurde. Des weiteren möchte ich mich insbesondere noch mal ausdrücklich bei Marié für ihre großzügigen Spenden (Karategis, Karate-T-Shirst, Karatekinderbücher) bedanken. Die Kinder haben sich sehr darüber gefreut und waren äußerst dankbar. Asante sana!!!

Ok,  jetzt ist es aber so weit. Ein letztes Kwa heri aus Kenia!


Astrid



3 Kommentare:

  1. Mein allerliebste Asti,
    Du hast mir mit Deinem aussergewönhlichen sehr guten Blogeintrag viele Gedanken ausgelösst die ich mit Dir sehr gerne austauschen möchte.
    Ich freue mich wahnsinnig auf Dich wenn Du Sonntag wieder bei uns bist und ich Dich ganz feste in meine Arme nehmen und drücken kann.

    Ich wünsche Dir einen super schönen Flug und gib Andi einen ganz lieben Kuss von uns:)))))))

    ( Lieber Andi, mit Dir halten wir weiterhin Kontakt und freuen uns auf Deine weiteren Blogeinträge :))))))))).Deine Photos sind sehr beeindruckend,sie sind was Besonderes. Sie gefallen uns überaus sehr.Man kann so richtig sehen wie die Kinder sehr an Dir hängen und
    Dich sehr mögen. Du bist was Besonderes und hast dort viel geleistet und viele glücklich gemacht, Du bist toll).


    Mein Allerliebstes,

    geniesse mit Andi die restliche schöne Zeit und ich freue mich Dich.

    Also dann bis Sonntag(juhu und jipije :))))).


    Ganz liebe Bussi's,

    Deine Mama

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  2. Hey Astrid,

    hut ab! hast die welt unglaublich gut zusammengefasst. zuerst war ich überrascht dass andi wohl vorzeitig zurückkommt und dann äußerst verwundert welche Ausdrücke er so nutzt, mir ist klar, dass der Aufenthalt ihn verändern wird, war aber überrascht wie schnell das ging und wie sehr sich andi in seiner sprache etc verändert hat.. bis ich am ende realisiert habe dass der artikel von dir ist :)
    guten flug und geniess die restliche zeit! hoffe dass der afrikavirus auch dich gepackt hat ;)

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    1. Hi Greg,

      vielen Dank für deinen Kommentar, darüber habe ich mich sehr gefreut :)
      So, wie es aussieht, habe ich mich tatsächlich mit dem Virus infiziert. Allerdings befürchte ich, dass es die noch weit schlimmere Variante davon ist: der "Weltvirus"! Heilung nahezu ausgeschlossen ;)))))))

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