Samstag, 7. April 2012

Kwa heri Mombasa, ninafurahi kumjulisha. Karibu Nairobi!


Montag, 02.04.2012

Heute war unser Abreisetag. Die letzte Woche ist wie im Flug vergangen. So viele Impressionen, angefangen beim absoluten Klimaschock, über paradoxer  Koexisdenz zwischen absolutem Elend und teils dekadentem Tourismus   bis hin zur fast unnachahmlichen und mehr als beneidenswerten Lebensfreude und gleichzeitiger Freiheit.

Die Woche war geprägt von emotionalen Hochs und Tiefs, im Wissen, dass  jeweils das Eine das Andere bedingt hat.

Ich bin so froh, dass wir uns neben der  touristischen Seite Mombasas,  auch ein parallellaufendes Leben an der Ostküste Kenias angeschaut haben. Der Besuch des SOS Childrens Village, das Treffen mit Julius und Mandela, die langen Unterhaltungen mit unseren beiden Kellnern James und Philip, der Erfahrungsaustausch mit anderen zufällig getroffenen Volontären, der stundenlange Aufenthalt im Bombolulu Workshop (Andischatzimausi, verzeih mir noch mal :-) ), das Eintauchen in den warmen Indischen Ozean - wir haben es tatsächlich am letzten Tag endlich mal geschafft einen Badetag, oder eher 1 ½  Badestunden nach außerplanmäßig ellenlanger Matatuirrfahrt inklusivem Hinterhofwerkstattaufenthalt, einzuschieben, das dichte Gedränge auf der Likoni-Fähre, das Genießen der unendlichen Weite und der unmittelbare  Kontakt zur Natur im Tsavo East NP und Amboseli NP, der majestätische Anblick des Kilimanjaros  während des Sonnenaufgangs, und, und , und...

Tja, dann hies es Abschiednehmen. Auf der einen Seite war es echt schade, Mombasa schon wieder zu verlassen, aber andererseits war ich unglaublich auf das gespannt, was uns in Nairobi erwarten würde. Jetzt, wo mein Kopf endlich begriffen hat, wie die Uhren und Menschen hier ticken,  muß  er sich auch schon wieder auf neue Veränderungen einstellen. Jeder, dem wir von unserem Vorhaben in Richtung der Teeanbaugebiete nordwestlich von Nairobi zu reisen erzählt haben, machte uns als erstes unmißverständlich klar, dass die Temperaturen dort „ein wenig“ niedriger sein würden. Auch würde es dort alles andere als touristisch zugehen. Betrachtet aus lokaler und aktueller meteoroligescher Sicht – WUNDERBAR!!! Ein bißchen weniger Schwitzen und dafür ein bißchen mehr real life (wahres Leben)...hört sich doch super an!

Also, nichts wie in den Flieger...


Eine Stunde später haben unsere Füße den Boden der meist geschmähten Stadt Afrikas geküßt und wir wurden herzlichen von Benson, unserem Fahrer von African Impact empfangen. Die Fahrt bis zur Unterkunft, einer baptistischen Einrichtung in Limuru, hat ca. 1 Stunde aufgrund des Verkehrs in Anspruch genommen. In diesen 60 Minuten hatte ich genügend Gelegenheit, mir einen ersten Eindruck von Nairobi zu machen.

Die allererste Feststellung, die wir beide unabhängig voneinander gemacht haben: HIER IST ES VERDAMMT  KALT!!! Bibber... Kein Wunder, im Vergleich zu Mombasa ist alles Gefrierschrank! Und was das ganze noch schlimmer macht, hier hat tatsächlich schon die viel angekündigte Regenzeit eingesetzt.

Die Fahrt mit Benson war sehr unterhaltsam und vor allem lehrreich. Auf Nachfragen hin hat er uns einiges zur vergangenen turbolenten und aktuellen teils gespannten politischen Lage erzählt. Das Ganze bekam eine sehr authentische Note, da wir nahezu an alle betroffenen Örtlichkeiten im Zentrum Nairobis vorbeigefahren sind. Obwohl  man sich im unaufhaltsamen Fluß (scheinbar)  linear verlaufender Zeit  befindet, hatte ich für den Hauch einer Sekunde das Gefühl, hautnah als stiller Beobachter teil an den Ereignissen der mehr als traurigen Vergangenheit zu haben. Die berichtenden Worte Bensons formten sich augenblicklich zu Bildern vor meinem geistigen Auge. Im Jahr 2007 kam es nach der mehr als fragwürdigen Präsidentschaftswahl zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern  des neu gewählten Präsidenten Mwai Kibaki (Stamm der Kikuyu) und des Oppositionsführers Raila Odinga (Stamm der Lou). Während man auf Regierungsebene den rechtmäßigen Verlauf der Wahlen analysierte und debattierte, folgte die Welt mit Entsetzen dem grausamen Geschehen in Nairobis Straßen. Es wurden schätzungsweise 1000 Menschen auf brutalste Weise in aller Öffentlichkeit wortwörtlich hingerichtet und mehr als 350.000 Einwohner aus ihren so wie so schon habseligen Unterkünften vertrieben. Und genau da, wo all das stattgefunden hat, hielten wir uns in diesem Moment, einem anderen Jetzt als vor (nur) fünf Jahren noch,  auf. Ich frage mich, was hat sich seit dieser Zeit verändert – und was davon zum Wohle aller? Rein äußerlich scheint  Nairobi auf den ersten Blick relativ geordnet und organisiert zu wirken. Normalität hat wieder Einzug in den Alltag erhalten, aber was ist mit den Wunden auf der Seele der Bevölkerung geschehen? Reicht ein von Blut  gesäubertes  Straßenbild aus, um ein zu tiefst mißbrauchtes Vertrauen wieder herzustellen?

Ein asiatisches Sprichwort sagt, man benötigt drei Jahre, um eine Festung zu bauen, aber nur 3 Tage, um sie zu zerstören.


Etwa 30 km weiter nordwestlich entfernt von der Bühne des vergangenen Grauens  angekommen, nahm ich als erstes, als ich aus dem Wagen ausgestiegen bin, einen intensiven Duft von verschiedensten wildwachsenden Kräutern, gemischt mit dem in der feuchten Luft liegenden Aroma der naheliegenden Teeplantagen wahr. Sonnenstrahlen durchbrechen die schweren Wolken und man kann den geradlinigen Weg des Lichtes sehr deutlich in dem Dunst des nach und nach zurückweichenden Nebels erkennen. Diese schon fast in Vergessenheit geratene Ruhe in 2250 m Höhe erweckt nun den Anschein, nach Raum und Zeit jetzt auch noch den Planeten gewechselt zu haben.

Im Vergleich zu Mombasa, wirkt Nairobi unglaublich modern und viel  strukurierter – man merkt einfach, dass man näher an den Westen ranrückt. Aber hier oben scheint es weder Westen noch Osten, geschweige denn „Zeit“ zu geben. Alte Frauen tragen bis über den Rand hinaus mit Pflanzenresten gefüllte riesige von Hand geflochtene Körbe auf ihrem Rücken und schleppen sich durch das zum Teil dichte Gestrüpp am Straßenrand. Rechts und links neben der Fahrbahn stehen angebundene Esel, die darauf warten, irgendwann wieder von ihren Besitzern abgeholt zu werden, damit sie für sie viel zu schwere Lasten auf Karren die Berge rauf und runter ziehen. Als Dank für ihre Leistung werden sie mit zahlreichen Schlägen mit dünnen, schwingenden Bambusstöcken maltretiert. Abgehend von der Hauptstraße haben wir zahlreiche Dörfer passiert, in denen man nicht über die Datumsgrenze von 1900 hinausgekommen ist. Lediglich die mit alten Reklamebildern bemalten Wände zahlreicher Häuserruinen, die den Wegesrand säumen, bezeugen die Ankunft in weitere Epochen des 20. Jahrhunderts. Auch hier findet das Leben auf der Straße – trotz Regenzeit – statt.


In der Unterkunft sind wir sehr herzlich  empfangen worden und zu unserem großen Erstaunen, haben wir sogar ein Doppelzimmer entgegen aller Ankündigungen und dem entsprechender Erwartungen zugewiesen bekommen. Juhuuuu :-)

Mit uns sind noch 7 weitere neue Volontäre angekommen. Am nächsten Morgen wurden wir alle offiziell begrüßt und hat uns den verschiedenen Projekten zugeteilt.


Andi und ich wurden dem Internat für geistig behinderte Kinder, Mukeu, zugeteilt. Unsere Aufgabe besteht darin, die lokalen Lehrer zu Unterstützen und helfend da zur Hand zu gehen, wo wir Not erkennen.

Es handelt sich bei Mukeu um eine reguläre Schule mit einer seperaten Einrichtung (Internat) für geistig behinderte Kinder (Autismus, Down-syndrom, Hyperaktivität, etc.). (Ausführliche Beschreibung siehe Andis Eintrag).

Als man uns zu dem Internat führte, wußte ich zwar in etwa, was uns erwarten würde, aber das Erwartung kein Synonym für Erfahrung ist, habe ich ja schon in meinem vorangegangenen Bericht erläutert.

Noch all zu gut waren die Erlebnisse in den Slums von Bombolulu und Shauri Yaku in meinem Gedächtnis präsent. Diese Armut und das fürchterliche Elend. Aber das, was hier auf uns wartete, kann man kaum in Worte fassen.

Diese Kinder sind hier, weil sie zum einen einer besonderen Betreuung bedürfen und zum anderen, weil sie schlicht und einfach nicht gewollt sind. Selbst ihre eigenen Eltern schämen sich ihrer. Sie sperren sie ein, fesseln sie teilweise und tun so, als gäbe es sie einfach nicht. Wie muß ein Kind, dass gerade dabei ist die ersten Welterfahrungen zu machen, sich fühlen, wenn es totale Ablehnung erfährt? Es durch eine dunkle Kammer und Einschränkung der Bewegungsfreiheit glauben zu lassen, dass das die Welt ist, die auf sie wartet, nachdem sie die Geborgenheit im Mutterleib verlassen haben. Welch einen Grund soll dann ein solches Kind noch haben, dem Leben zu vertrauen und den Wunsch haben, weiter daran teilzunehmen? Was geschieht mit diesen seelischen Wunden? Wer baut diese Festung wieder auf bzw. errichtet eventuell erst mal eine?

Ich habe ein wenig im Internet recherchiert und Rücksprache mit Charity (ja, sie heißt wirklich so) von African Impact gehalten, weil ich unglaublich geschockt war, von dem, was man uns diesbezüglich berichtete. Es ist tatsächlich so, dass  jegliche Behinderung in Kenia nach wie vor ein Tabuthema ist. Es mangelt an Aufklärung und Selbstwertgefühl bei der Bevölkerung sowie an Unterstützung seitens der Regierung. Behinderte werden diskriminiert, ausgebeutet, mißbraucht und werden Opfer anderer Gewalttaten.


Hier in Mukeu haben diese Kinder ein vorläufiges bzw. beiläufiges Zuhause gefunden. Die Lehrer und Mitarbeiter tun ihr Möglichstes , um den Kindern ein Gefühl von Stabilität zu vermitteln. Aber auch hier fehlt es zum Teil an mangelnder Ausbildung, finanziellen Mitteln und einfachsten hygienischen Bedingungen.
Ok, wir haben die Not jetzt gesehen, aber wie können wir jetzt helfen?
Andi und ich haben jede Menge Sachspenden erhalten und dafür möchte ich an dieser Stelle allen Spendern noch mal ganz herzlichen Danken. Auch für das Vertrauen, dass ihr in uns gesetzt habt. Die Kleidung sowie das Spielzeug, die ich von Siggi und Jürgen erhalten habe, können hier unheimlich gut gebraucht werden. Die Kinder laufen in dieser Kälte mit zerrissenen und viel zu dünnen Klamotten rum. Ihre dünnen Beinchen und kleinen Hände fühlen sich zum Teil eisekalt an. Vielen Dank euch beiden!
Die Kuscheltiere, die ich von Paula erhalten habe sowie die tolle Porsche- / Lkw-Sammlung, die du mir gegeben hast, Paps, werden Verwendung in einer anderen Einrichtung finden. Nächste Woche entscheidet sich, wohin wir sie geben werden. In jedem Fall werden die Kinder überglücklich darüber sein, weil solche Dinge kaum besitzen.  Die Softbälle, die ich von Georg erhalten habe, wurden  beim heutigen Sporttag im Limuru Childrens Centre mehr als dankend entgegengenommen. Ich danke euch von ganzem Herzen für eure Großzügigkeit. Gisela, du hattest recht, die Kulis sind hier tatsächlich heiß begehrt. Da die Kinder in Mukeu hauptsächlich mit Bleistift schreiben werden die Kulis in einer anderen Schule verteilt werden. Vielen Dank auch hier für!
Wenn ich zurück komme, werde ich euch Bilder von  diesen Kindern zeigen, die einfach durch ihre bloße Anwesenheit den größten Dank ausdrücken. Auch das ist nur möglich, weil ich eine tolle Kamera für meine Reise geschenkt bekommen habe (an der Stelle auch noch mal ein dickes Dankeschön an  Mama und Rainer), die auch schon tausendfach zum Einsatz gekommen ist. Die Kinder lieben es fotografiert zu werden und sich auf Bildern zu betrachten. 

Die Frage ist allerdings, wie weit komme ich mit kleinen Sachspenden? Natürlich sind solche Dinge unglaublich wichtig, aber viel wichtiger ist es nachhaltige Hilfe zu leisten. Und darunter verstehe ich es, die Kinder stark zu machen, dass sie mit Motivation und Freude dem Leben entgegen treten, dass sie lernen, auf eigenen Beinen zu stehen, so gut es geht. Unsere Zeit hier in Limuru ist leider sehr begrenzt, aber sie reicht aus, jedes einzelne der Kinder – und sei es nur für einige Minuten – spüren zu lassen, dass die Welt nicht nur aus einer dunklen Kammer besteht, in der man sich nicht bewegen darf. Sie sollen erkennen, da gibt’s noch mehr und ich will mehr davon. 

So oft es geht, nehmen wir die Kinder in den Arm, drücken sie, spielen mit ihnen oder wiegen sie einfach nur in den Pausen. Sie sind so liebesbedürftig und es ist ein unglaublicher Gewinn für beide Seiten, ihnen diese bedingungslose Liebe zu geben.

Andi sagte es recht treffend „ Mombasa war schon heftig, aber Mukeu war ein richtiger Schlag ins Gesicht.“. Nach den ersten Eindrücken haben wir auch erst mal sprichwörtlich k.o. auf dem Boden gelegen. Ein Auszählen war jedoch noch nicht nötig. Dennoch völlig erschöpft und mit letzter Kraft sind wir dann in unsere „Ringecken“ gekrochen,  haben unsere „Wunden“ versorgt und den heutigen „Kampftag“ noch mal revue passieren lassen. In einem waren wir uns jedoch sofort einig – auf keinen Fall wird ein Handtuch geworfen. Lebend kommt eh keiner davon, also kann man auch in der Arena stehen und kämpfen, als nur auf der Tribüne sitzen. Frei nach dem Motto „Ach komm schon Leben, war das etwa schon dein härtester Schlag? Na los, jetzt gib’s mir aber richtig und hör bloß auf wie ein Mädchen zuzulangen.“

Morgens gegen 06:30 Uhr ertönte dann der Gong zur nächsten Runde. Aber heute sah die Welt schon ein wenig anders aus. Wir sind froh darüber hier in Mukeu gelandet zu sein und es macht uns eine riesige Freude, die Zeit mit den Kids zu verbringen.


Man kann sagen, das Leben in Mombasa und Limuru geht über den 08/15-Horizont deutlich hinaus. Ich denke, so in etwa muß sich Magellan gefühlt haben, als er entdeckte,  „Oops, die Erde scheint doch keine endliche Scheibe zu sein.“. Wir sind jetzt quasi hier auf der vermeintlichen Unterseite der Scheibe und haben festgestellt, die Menschen haben nichts, um sich auch nur ansatzweise  an der Erde festzuhalten und dennoch fallen sie aus irgend einem Grund nicht runter ins Leere.

Wie geht das? Was ist das für eine Kraft, die alles Gegensätzliche zusammenhält?
Goethe hat mal gesagt „Es ist die Liebe, die die Welt in ihrem Inneren zusammenhält.“


...
Astrid

2 Kommentare:

  1. Zoutelande - NL, Ostern 2012

    Liebe Astrid und lieber Andy,

    hier im Urlaub haben wir wieder aufmerksam und voller Spannung Eure Eintragungen gelesen. Wir wissen, dass ihr Beiden euer Bestes geben werdet um den Kinden dort zu helfen. Hierzu wünschen wir Euch weiterhin viel Erfolg und Durchhaltevermögen. Wir denken immer an Euch. Bis bald, wir lieben Euch - bleibt vor allen Dingen gesund und paßt gut auf Euch auf !!!

    Paps und Gisela

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  2. Hallo Ihr 2 Süssen,

    Euren Bericht zu lesen ist schon grandios und fenominal.
    Es fehlen einem schon manchmal die Worte was Ihr uns alles so mitteilt,mal ist es traurig und mal ist es schön.Für die Kinder ist es eine schöne Bereicherung das Ihr Euch so wundervoll um sie kümmert und sie auch mal in den Arm nehmt, dafür lieben sie Euch.
    Man kann es ganz deutlich auf den Photos sehen:)))))).

    Wir wünschen Euch noch restlich super schöne Tage und vieeeeeeel Erfolg.

    Liebe Astrid und lieber Andi,
    wir drücken Euch ganz ganz feste und freuen uns seeeeeeehr wenn Ihr wieder bei uns seid.

    Viele liebe süsse Küsschen,

    Rainer & Gisela

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