Montag, 02.04.2012
Heute war unser Abreisetag. Die
letzte Woche ist wie im Flug vergangen. So viele Impressionen, angefangen beim
absoluten Klimaschock, über paradoxer Koexisdenz
zwischen absolutem Elend und teils dekadentem Tourismus bis
hin zur fast unnachahmlichen und mehr als beneidenswerten Lebensfreude und
gleichzeitiger Freiheit.
Die Woche war geprägt von emotionalen
Hochs und Tiefs, im Wissen, dass jeweils
das Eine das Andere bedingt hat.
Ich bin so froh, dass wir uns neben
der touristischen Seite Mombasas, auch ein parallellaufendes Leben an der
Ostküste Kenias angeschaut haben. Der Besuch des SOS Childrens Village, das
Treffen mit Julius und Mandela, die langen Unterhaltungen mit unseren beiden
Kellnern James und Philip, der Erfahrungsaustausch mit anderen zufällig
getroffenen Volontären, der stundenlange Aufenthalt im Bombolulu Workshop
(Andischatzimausi, verzeih mir noch mal :-) ),
das Eintauchen in den warmen Indischen Ozean - wir haben es tatsächlich am
letzten Tag endlich mal geschafft einen Badetag, oder eher 1 ½ Badestunden nach außerplanmäßig ellenlanger
Matatuirrfahrt inklusivem Hinterhofwerkstattaufenthalt, einzuschieben, das
dichte Gedränge auf der Likoni-Fähre, das Genießen der unendlichen Weite und
der unmittelbare Kontakt zur Natur im
Tsavo East NP und Amboseli NP, der majestätische Anblick des Kilimanjaros während des Sonnenaufgangs, und, und , und...
Tja, dann hies es Abschiednehmen.
Auf der einen Seite war es echt schade, Mombasa schon wieder zu verlassen, aber
andererseits war ich unglaublich auf das gespannt, was uns in Nairobi erwarten
würde. Jetzt, wo mein Kopf endlich begriffen hat, wie die Uhren und Menschen
hier ticken, muß er sich auch schon wieder auf neue Veränderungen
einstellen. Jeder, dem wir von unserem Vorhaben in Richtung der Teeanbaugebiete
nordwestlich von Nairobi zu reisen
erzählt haben, machte uns als erstes unmißverständlich klar, dass die
Temperaturen dort „ein wenig“ niedriger sein würden. Auch würde es dort alles
andere als touristisch zugehen. Betrachtet aus lokaler und aktueller
meteoroligescher Sicht – WUNDERBAR!!! Ein bißchen weniger Schwitzen und dafür ein
bißchen mehr real life (wahres Leben)...hört sich doch super an!
Also, nichts wie in den Flieger...
Eine Stunde später haben unsere
Füße den Boden der meist geschmähten Stadt Afrikas geküßt und wir wurden
herzlichen von Benson, unserem Fahrer von African Impact empfangen. Die Fahrt
bis zur Unterkunft, einer baptistischen Einrichtung in Limuru, hat ca. 1 Stunde
aufgrund des Verkehrs in Anspruch genommen. In diesen 60 Minuten hatte ich
genügend Gelegenheit, mir einen ersten Eindruck von Nairobi zu machen.
Die allererste Feststellung, die
wir beide unabhängig voneinander gemacht haben: HIER IST ES VERDAMMT KALT!!! Bibber... Kein Wunder, im Vergleich zu
Mombasa ist alles Gefrierschrank! Und was das ganze noch schlimmer macht, hier
hat tatsächlich schon die viel angekündigte Regenzeit eingesetzt.
Die Fahrt mit Benson war sehr
unterhaltsam und vor allem lehrreich. Auf Nachfragen hin hat er uns einiges zur
vergangenen turbolenten und aktuellen teils gespannten politischen Lage
erzählt. Das Ganze bekam eine sehr authentische Note, da wir nahezu an alle
betroffenen Örtlichkeiten im Zentrum Nairobis vorbeigefahren sind. Obwohl man sich im unaufhaltsamen Fluß (scheinbar) linear verlaufender Zeit befindet, hatte ich für den Hauch einer
Sekunde das Gefühl, hautnah als stiller Beobachter teil an den Ereignissen der mehr
als traurigen Vergangenheit zu haben. Die berichtenden Worte Bensons formten
sich augenblicklich zu Bildern vor meinem geistigen Auge. Im Jahr 2007 kam es
nach der mehr als fragwürdigen Präsidentschaftswahl zu blutigen
Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern des neu gewählten Präsidenten Mwai Kibaki (Stamm
der Kikuyu) und des Oppositionsführers Raila Odinga (Stamm der Lou). Während
man auf Regierungsebene den rechtmäßigen Verlauf der Wahlen analysierte und
debattierte, folgte die Welt mit Entsetzen dem grausamen Geschehen in Nairobis
Straßen. Es wurden schätzungsweise 1000 Menschen auf brutalste Weise in aller
Öffentlichkeit wortwörtlich hingerichtet und mehr als 350.000 Einwohner aus
ihren so wie so schon habseligen Unterkünften vertrieben. Und genau da, wo all
das stattgefunden hat, hielten wir uns in diesem Moment, einem anderen Jetzt
als vor (nur) fünf Jahren noch, auf. Ich
frage mich, was hat sich seit dieser Zeit verändert – und was davon zum Wohle
aller? Rein äußerlich scheint Nairobi auf
den ersten Blick relativ geordnet und organisiert zu wirken. Normalität hat
wieder Einzug in den Alltag erhalten, aber was ist mit den Wunden auf der Seele
der Bevölkerung geschehen? Reicht ein von Blut
gesäubertes Straßenbild aus, um
ein zu tiefst mißbrauchtes Vertrauen wieder herzustellen?
Ein asiatisches Sprichwort sagt,
man benötigt drei Jahre, um eine Festung zu bauen, aber nur 3 Tage, um sie zu
zerstören.
Etwa 30 km weiter nordwestlich
entfernt von der Bühne des vergangenen Grauens angekommen, nahm ich als erstes, als ich aus
dem Wagen ausgestiegen bin, einen intensiven Duft von verschiedensten
wildwachsenden Kräutern, gemischt mit dem in der feuchten Luft liegenden Aroma
der naheliegenden Teeplantagen wahr. Sonnenstrahlen durchbrechen die schweren
Wolken und man kann den geradlinigen Weg des Lichtes sehr deutlich in dem Dunst
des nach und nach zurückweichenden Nebels erkennen. Diese schon fast in
Vergessenheit geratene Ruhe in 2250 m Höhe erweckt nun den Anschein, nach Raum
und Zeit jetzt auch noch den Planeten gewechselt zu haben.
Im Vergleich zu Mombasa, wirkt
Nairobi unglaublich modern und viel strukurierter
– man merkt einfach, dass man näher an den Westen ranrückt. Aber hier oben scheint
es weder Westen noch Osten, geschweige denn „Zeit“ zu geben. Alte Frauen tragen
bis über den Rand hinaus mit Pflanzenresten gefüllte riesige von Hand geflochtene
Körbe auf ihrem Rücken und schleppen sich durch das zum Teil dichte Gestrüpp am
Straßenrand. Rechts und links neben der Fahrbahn stehen angebundene Esel, die
darauf warten, irgendwann wieder von ihren Besitzern abgeholt zu werden, damit
sie für sie viel zu schwere Lasten auf Karren die Berge rauf und runter ziehen.
Als Dank für ihre Leistung werden sie mit zahlreichen Schlägen mit dünnen,
schwingenden Bambusstöcken maltretiert. Abgehend von der Hauptstraße haben wir
zahlreiche Dörfer passiert, in denen man nicht über die Datumsgrenze von 1900
hinausgekommen ist. Lediglich die mit alten Reklamebildern bemalten Wände
zahlreicher Häuserruinen, die den Wegesrand säumen, bezeugen die Ankunft in
weitere Epochen des 20. Jahrhunderts. Auch hier findet das Leben auf der Straße
– trotz Regenzeit – statt.
In der Unterkunft sind wir sehr
herzlich empfangen worden und zu unserem
großen Erstaunen, haben wir sogar ein Doppelzimmer entgegen aller Ankündigungen
und dem entsprechender Erwartungen zugewiesen bekommen. Juhuuuu :-)
Mit uns sind noch 7 weitere neue
Volontäre angekommen. Am nächsten Morgen wurden wir alle offiziell begrüßt und hat uns den verschiedenen
Projekten zugeteilt.
Andi und ich wurden dem Internat
für geistig behinderte Kinder, Mukeu, zugeteilt. Unsere Aufgabe besteht darin,
die lokalen Lehrer zu Unterstützen und helfend da zur Hand zu gehen, wo wir Not
erkennen.
Es handelt sich bei Mukeu um eine
reguläre Schule mit einer seperaten Einrichtung (Internat) für geistig
behinderte Kinder (Autismus, Down-syndrom, Hyperaktivität, etc.). (Ausführliche
Beschreibung siehe Andis Eintrag).
Als man uns zu dem Internat
führte, wußte ich zwar in etwa, was uns erwarten würde, aber das Erwartung kein
Synonym für Erfahrung ist, habe ich ja schon in meinem vorangegangenen Bericht
erläutert.
Noch all zu gut waren die
Erlebnisse in den Slums von Bombolulu und Shauri Yaku in meinem Gedächtnis
präsent. Diese Armut und das fürchterliche Elend. Aber das, was hier auf uns
wartete, kann man kaum in Worte fassen.
Diese Kinder sind hier, weil sie
zum einen einer besonderen Betreuung bedürfen und zum anderen, weil sie schlicht
und einfach nicht gewollt sind. Selbst ihre eigenen Eltern schämen sich ihrer. Sie
sperren sie ein, fesseln sie teilweise und tun so, als gäbe es sie einfach nicht.
Wie muß ein Kind, dass gerade dabei ist die ersten Welterfahrungen zu machen,
sich fühlen, wenn es totale Ablehnung erfährt? Es durch eine dunkle Kammer und Einschränkung
der Bewegungsfreiheit glauben zu lassen, dass das die Welt ist, die auf sie
wartet, nachdem sie die Geborgenheit im Mutterleib verlassen haben. Welch einen
Grund soll dann ein solches Kind noch haben, dem Leben zu vertrauen und den Wunsch
haben, weiter daran teilzunehmen? Was geschieht mit diesen seelischen Wunden?
Wer baut diese Festung wieder auf bzw. errichtet eventuell erst mal eine?
Ich habe ein wenig im Internet recherchiert
und Rücksprache mit Charity (ja, sie heißt wirklich so) von African Impact gehalten,
weil ich unglaublich geschockt war, von dem, was man uns diesbezüglich
berichtete. Es ist tatsächlich so, dass jegliche
Behinderung in Kenia nach wie vor ein Tabuthema ist. Es mangelt an Aufklärung und
Selbstwertgefühl bei der Bevölkerung sowie an Unterstützung seitens der
Regierung. Behinderte werden diskriminiert, ausgebeutet, mißbraucht und werden
Opfer anderer Gewalttaten.
Hier in Mukeu haben diese Kinder
ein vorläufiges bzw. beiläufiges Zuhause gefunden. Die Lehrer und Mitarbeiter
tun ihr Möglichstes , um den Kindern ein Gefühl von Stabilität zu vermitteln.
Aber auch hier fehlt es zum Teil an mangelnder Ausbildung, finanziellen Mitteln
und einfachsten hygienischen Bedingungen.
Ok, wir haben die Not jetzt
gesehen, aber wie können wir jetzt helfen?
Andi und ich haben jede Menge
Sachspenden erhalten und dafür möchte ich an dieser Stelle allen Spendern noch
mal ganz herzlichen Danken. Auch für das Vertrauen, dass ihr in uns gesetzt
habt. Die Kleidung sowie das Spielzeug, die ich von Siggi und Jürgen erhalten
habe, können hier unheimlich gut gebraucht werden. Die Kinder laufen in dieser
Kälte mit zerrissenen und viel zu dünnen Klamotten rum. Ihre dünnen Beinchen
und kleinen Hände fühlen sich zum Teil eisekalt an. Vielen Dank euch beiden!
Die Kuscheltiere, die ich von Paula
erhalten habe sowie die tolle Porsche- / Lkw-Sammlung, die du mir gegeben hast,
Paps, werden Verwendung in einer anderen Einrichtung finden. Nächste Woche
entscheidet sich, wohin wir sie geben werden. In jedem Fall werden die Kinder
überglücklich darüber sein, weil solche Dinge kaum besitzen. Die Softbälle, die ich von Georg erhalten
habe, wurden beim heutigen Sporttag im
Limuru Childrens Centre mehr als dankend entgegengenommen. Ich danke euch von
ganzem Herzen für eure Großzügigkeit. Gisela, du hattest recht, die Kulis sind
hier tatsächlich heiß begehrt. Da die Kinder in Mukeu hauptsächlich mit
Bleistift schreiben werden die Kulis in einer anderen Schule verteilt werden.
Vielen Dank auch hier für!
Wenn ich zurück komme, werde ich
euch Bilder von diesen Kindern zeigen,
die einfach durch ihre bloße Anwesenheit den größten Dank ausdrücken. Auch das
ist nur möglich, weil ich eine tolle Kamera für meine Reise geschenkt bekommen
habe (an der Stelle auch noch mal ein dickes Dankeschön an Mama und Rainer), die auch schon tausendfach
zum Einsatz gekommen ist. Die Kinder lieben es fotografiert zu werden und sich
auf Bildern zu betrachten.
Die Frage ist allerdings, wie
weit komme ich mit kleinen Sachspenden? Natürlich sind solche Dinge unglaublich
wichtig, aber viel wichtiger ist es nachhaltige Hilfe zu leisten. Und darunter
verstehe ich es, die Kinder stark zu machen, dass sie mit Motivation und Freude
dem Leben entgegen treten, dass sie lernen, auf eigenen Beinen zu stehen, so
gut es geht. Unsere Zeit hier in Limuru ist leider sehr begrenzt, aber sie
reicht aus, jedes einzelne der Kinder – und sei es nur für einige Minuten –
spüren zu lassen, dass die Welt nicht nur aus einer dunklen Kammer besteht, in
der man sich nicht bewegen darf. Sie sollen erkennen, da gibt’s noch mehr und ich
will mehr davon.
So oft es geht, nehmen wir die
Kinder in den Arm, drücken sie, spielen mit ihnen oder wiegen sie einfach nur
in den Pausen. Sie sind so liebesbedürftig und es ist ein unglaublicher Gewinn
für beide Seiten, ihnen diese bedingungslose Liebe zu geben.
Andi sagte es recht treffend „
Mombasa war schon heftig, aber Mukeu war ein richtiger Schlag ins Gesicht.“. Nach den ersten Eindrücken haben wir auch erst
mal sprichwörtlich k.o. auf dem Boden gelegen. Ein Auszählen war jedoch noch
nicht nötig. Dennoch völlig erschöpft und mit letzter Kraft sind wir dann in
unsere „Ringecken“ gekrochen, haben
unsere „Wunden“ versorgt und den heutigen „Kampftag“ noch mal revue passieren
lassen. In einem waren wir uns jedoch sofort einig – auf keinen Fall wird ein
Handtuch geworfen. Lebend kommt eh keiner davon, also kann man auch in der
Arena stehen und kämpfen, als nur auf der Tribüne sitzen. Frei nach dem Motto
„Ach komm schon Leben, war das etwa schon dein härtester Schlag? Na los, jetzt
gib’s mir aber richtig und hör bloß auf wie ein Mädchen zuzulangen.“
Morgens gegen 06:30 Uhr ertönte
dann der Gong zur nächsten Runde. Aber heute sah die Welt schon ein wenig
anders aus. Wir sind froh darüber hier in Mukeu gelandet zu sein und es macht
uns eine riesige Freude, die Zeit mit den Kids zu verbringen.
Man kann sagen, das Leben in Mombasa
und Limuru geht über den 08/15-Horizont deutlich hinaus. Ich denke, so in etwa
muß sich Magellan gefühlt haben, als er entdeckte, „Oops, die Erde scheint doch keine endliche
Scheibe zu sein.“. Wir sind jetzt quasi hier auf der vermeintlichen Unterseite
der Scheibe und haben festgestellt, die Menschen haben nichts, um sich auch nur
ansatzweise an der Erde festzuhalten und
dennoch fallen sie aus irgend einem Grund nicht runter ins Leere.
Wie geht das? Was ist das für
eine Kraft, die alles Gegensätzliche zusammenhält?
Goethe hat mal gesagt „Es ist die
Liebe, die die Welt in ihrem Inneren zusammenhält.“
...
Astrid
Zoutelande - NL, Ostern 2012
AntwortenLöschenLiebe Astrid und lieber Andy,
hier im Urlaub haben wir wieder aufmerksam und voller Spannung Eure Eintragungen gelesen. Wir wissen, dass ihr Beiden euer Bestes geben werdet um den Kinden dort zu helfen. Hierzu wünschen wir Euch weiterhin viel Erfolg und Durchhaltevermögen. Wir denken immer an Euch. Bis bald, wir lieben Euch - bleibt vor allen Dingen gesund und paßt gut auf Euch auf !!!
Paps und Gisela
Hallo Ihr 2 Süssen,
AntwortenLöschenEuren Bericht zu lesen ist schon grandios und fenominal.
Es fehlen einem schon manchmal die Worte was Ihr uns alles so mitteilt,mal ist es traurig und mal ist es schön.Für die Kinder ist es eine schöne Bereicherung das Ihr Euch so wundervoll um sie kümmert und sie auch mal in den Arm nehmt, dafür lieben sie Euch.
Man kann es ganz deutlich auf den Photos sehen:)))))).
Wir wünschen Euch noch restlich super schöne Tage und vieeeeeeel Erfolg.
Liebe Astrid und lieber Andi,
wir drücken Euch ganz ganz feste und freuen uns seeeeeeehr wenn Ihr wieder bei uns seid.
Viele liebe süsse Küsschen,
Rainer & Gisela